Selbstorganisierung und Nachbarschaftsversammlungen
Vom Aufstand und dem Geist der Diktatur in Chile
Die chilenische Bevölkerung erhebt sich gegen eine korrupte Regierung, die den Geist der Diktatur im Land durch Panzer in den Straßen wiederaufleben lässt. Nach Demonstrationen von Schüler*innen und Student*innen gegen eine Fahrpreiserhöhung hat die chilenische Regierung das gesamte Polizeikontingent der Hauptstadt Santiago de Chile mobilisiert um Proteste zu unterdrücken.
Dies hatte den Tod eines Studenten und einen landesweiten Aufstand gegen die Folgen einer neoliberale Politik zur Folge, die überall auf der Welt zu wiederzufinden ist, und derzeit Ursache für Aufstände und Proteste in vielen Städten und Ländern ist. In Chile ist ein Großteil der Bevölkerung ist verarmt und nur wenige Reiche profitieren von einer deregulierten Wirtschaftspolitik, die auf die Interessen von Konzernen und Investor*innen zugeschnitten ist. Die Proteste werden daher von weiten Teilen der Bevölkerung und auch ehemaligen Wähler*innen der rechten Regierung mitgetragen.
Präsident Sebastián Piñera hat am 19. Oktober daraufhin den Ausnahmezustand verhängt und zum ersten mal seit der Pinochet-Diktatur das Militär und Panzer gegen die Bevölkerung eingesetzt. Seitdem wird auf den Straßen auf Demonstrationen und Versammlungen geschossen. Bis heute gibt es mehr als 45 Tote durch Polizei- oder Militär und mehr als 2.500 Inhaftierte, über 250 Vermisste, mindestens 15 Vergewaltigungen und Hunderte von Verwundeten.
Soziale Bewegungen in Chile sammeln aktuell Geld um die Proteste durch den Kauf von Grundnahrungsmitteln zu unterstützen, da in Gebieten mit starker Polizei- und Militärpräsenz zunehmend Engpässe herrschen. Café Libertad Kollektiv hat 400,- Fördermittel freigestellt um die Kochkollektive auf den umkämpften Straßen in Chile zu unterstützen. Weitere Fördermittel wurden für den Kauf von Lebensmitteln und medizinische Hilfsmittel wie Verbandsmaterial oder Gasmasken zugesagt
Ziel ist, mit diesen Ressourcen die mobilen Kochkollektive und Kantinen in Peñalolén, Macul, San Joaquín und La Florida zu unterstützen. Dies sind Bezirke mit niedrigem Einkommen, in denen mit Kochgeschirr demonstriert wird und gemeinschaftliche Kantinen zur Ernährung der Bevölkerung organisiert werden.
Zusammen mit sozialen Organisationen und Nachbar*innen wurden aufgrund der Ereignisse in verschiedenen Gemeinden Gesundheitskommissionen eingerichtet um verletzten Menschen Erste Hilfe zu leisten, und diese in die nächstgelegenen Kliniken zu überführen.
Andere Gruppen organisieren lokale Lebensmittelausgaben oder Selbsthilfegruppen für ältere Menschen, die posttraumatische Belastungsstörungen haben, nachdem sie in der Diktatur gelebt haben oder für Nachbar*innen, die sich durch das Militär Waffen in Sichtweite traumatisiert werden. Es werden kommunale und lokale Kommunikationsgruppen zu Menschenrechten, Mediengruppen und Kinderbetreuungsgruppen organisiert. Dies alles erfolgt durch tägliche lokale Nachbarschaftsversammlungen, in denen alle Arbeiten geplant werden.
Eine der wichtigsten Strukturen zur weiteren Mobilisierung und repräsentativen Verbreiterung der Proteste sind öffentliche Straßenversammlungen an wechselnden Plätzen, bei denen die Nachbar*innen aufgefordert werden, über ihre Gefühle und Forderungen an den chilenischen Staat zu sprechen. Gefordert wird dort unter anderem Zugang zu Gesundheit, Bildung, Wohnen und menschenwürdiger Rente.