Kolonialismus und mexikanische Revolution
Land und Freiheit »Tierra y Libertad«
Einführung des Kaffees in Mexiko und Feudalismus (1880 bis 1900)
Kaffee wurde in den 1880er Jahren mit u.a. deutschen Kapital in Mexiko als koloniales Produkt eingeführt. Er sollte ausschließlich für den Export produziert werden. Der mexikanische Staat versprach sich von den ausländischen Investitionen einen wirtschaftlichen Aufschwung, war das Land doch nach dem kriegerischen Überfall und der Landnahme durch die USA in den 1840ern bankrott. Unter der 35-jährigen diktatorischen Herrschaft von Präsident Porfirio Díaz, dem sogenannten Porfiriat (1877 bis 1911), wurde der mexikanische Landbesitz zum Vorteil von Mestizen [1] und Großgrundbesitzern neu verteilt [2]: Land, das vor der mexikanischen Unabhängigkeit spanischen Kolonialherren gehört und welches sich die indigenen Gemeinden wieder angeeignet hatten, wurde aufgrund von fehlenden Landtiteln als „Niemandsland“ deklariert. Dann wurde es zur Schuldentilgung an Staatsangestellte vergeben, die so zu Großgrundbesitzern wurden und hier oftmals Kaffeefincas aufbauten. In der Folge verloren etwa 90 Prozent der Landbevölkerung ihren Landbesitz und mussten sich als versklavte Arbeiter*innen verdingen. In Chiapas, der südlichen Region Mexikos, in der der Großteil der heutigen Zapatistas lebt, verdoppelten sich zwischen 1890 bis 1910 die Kaffeebetriebe.
Mit den Fincas und Großgrundbesitzern hielten wieder feudale Verhältnisse wie zur spanischen Kolonialzeit Einzug: Die indigenen Gemeinden waren nicht nur landlos, sondern auch jeglicher Rechte und Selbstbestimmung beraubt. Sie wurden dazu verdammt, voll und ganz für ihre Gutsherren im Dienst zu stehen. Missbrauch und körperliche Züchtigung bis hin zur Tötung waren an der Tagesordnung.
Soziale Unruhen und Revolution (1900 bis 1920)
Gegen das Porfiriat begann sich aus unterschiedlichen Bevölkerungsschichten heraus Widerstand zu formieren. Die Landlosen und Indigenen wollten ihren Landbesitz zurück und aus den feudalen Verhältnissen ausbrechen. Auch die Mittelschicht distanzierte sich von Díaz, da sie unter den Auswirkungen der seit 1907 in den USA herrschenden Wirtschaftskrise litten. Die Reichtümer wurden nur zugunsten der Oberschicht verteilt.
Im Jahr 1910 sollte Díaz abermals durch eine inszenierte Wahl zum Präsidenten gekürt werden, wogegen eine breite Oppositionsbewegung um Francisco Madero militärisch einschritt. Unter den Aufständischen befand sich auch Emiliano Zapata mit seiner Armee besitzloser Landarbeiter aus den Südregionen Mexikos. Nach einem gelungenen Aufstand, der das ganze Land erfasste, wurde Díaz 1911 in die Flucht geschlagen und Madero zum neuen Präsidenten gewählt. Jedoch enttäuschte er die in ihn gesetzten Hoffnungen auf eine Erneuerung der Armee, einen Austausch der alten Amtsträger und auf Landreformen. Madero wendete sich also gegen seine eigenen Ideale und ehemaligen Verbündeten. Die Zapatistas, die sich für „Tierra y Libertad“ (Land und Freiheit) einsetzten, bekämpften deshalb nun auch ihn. Letztlich wurde er, nur zwei Jahre nach seiner Wahl zum Präsidenten, durch einen Armeeputsch von Victoriano Huerta ermordet. Huerta übernahm daraufhin die Macht im Land, konnte sich jedoch nur etwa ein Jahr lang halten. Zapata wurde 1919 ermordet und bis 1920 versank das Land im Bürgerkrieg.
Agrarreformen und Institutionalisierung (1920 bis 1970)
Àlvaro Obregón wurde 1920 zum neuen Präsidenten gewählt. Unter seiner Amtszeit gilt die mexikanische Revolution als weitgehend beruhigt und die politischen Verhältnisse festigten sich langsam. Viele Forderungen und Hoffnungen der Menschen waren jedoch nicht erfüllt. Erst mit Lázaro Cárdenas (1934-1940) wurden lang geforderte Reformen wie die Verstaatlichung der Ölindustrie und der sich im ausländischen Besitz befindlichen Eisenbahngesellschaft umgesetzt. Zudem konnte er teilweise den Einfluss der nach wie vor in den Provinzen mächtigen Großgrundbesitzer durch die Umsetzung der von den Zapatistas geforderten Agrarreformen verringern.
Doch die zögerliche Landreform zugunsten der indigenen Bäuer*innen wurde im Bundesstaat Chiapas kaum umgesetzt. So wurde zwischen 1930 und 1980 indigenen Antragsteller*innen 750.280 Hektar zwar zugesprochen, hiervon wurden ihnen jedoch „nur 141.383 ha tatsächlich übergeben. Davon war ein Viertel schon vorher Gemeindeland und der Rest war meist schlechter Boden“. [3]
Indigene Aufstände und Selbstorganisierung (1970 bis 1984)
In den 1970er Jahren begann die indigene Bevölkerung, sich als Bäuer*innenbewegung selbst zu organisieren. Im Jahr 1974 fand unter kirchlichem Dach der Congreso Indígena statt, die Geburtsstunde der indigenen Bewegung von Chiapas. Hier trafen sich Indigene aller größeren ethnischen Gruppen und besprachen ihre politische Situation und gemeinsamen Probleme. Dieses Treffen gab den Startschuss für den organisierten Widerstand und zusammen eroberten sie zwischen 1972 und 1983 sämtliche Ländereien.
Wichtige Bedingungen für den Erfolg der Selbstorganisierung und Ermächtigung waren:
- Die Großgrundbesitzer stellten auf extensive Viehzucht um, da dies größere Gewinne versprach als der Kaffeeanbau. Zudem wurde beim Kaffeeanbau zunehmend mit Maschinen gearbeitet. Durch diese Entwicklungen verloren viele Arbeiter*innen ihre Anstellungen und wurden von den Fincas verjagt.
- Ein staatliches Staudammprojekt für die Energieerzeugung bedrohte Tausende Hektar Land. Jedoch wurden nur die Großgrundbesitzer für ihre Ländereien entschädigt. (1981 wurde das Projekt aufgrund des Widerstands wieder fallen gelassen – jedoch im Kontext des Plan Puebla-Panamá wieder in Betracht gezogen.)
- Verstärkter Unmut der Landbevölkerung machte sich angesichts fehlender tatsächlicher Agrarreformen und der Ungleichverteilung von Land breit.
- Die Selbstorganisierung der Indigenen als Bäuer*innenbewegung wurde durch marxistische Intellektuelle unterstützt, die sich in der Studentenbewegung der 68er-Jahre radikalisiert hatten.
- Die Befreiungstheologie, insbesondere in Person von Pater Joél Patron, der in San Christobal tätig war, galt als Vorkämpferin für die Rechte der indigenen Bevölkerung und unterstützte den Widerstand maßgeblich.
Der Staat reagierte auf die Landbesetzungen mit Repressionen – obwohl auf dem Papier den Bäuer*innen das Land oftmals längst gehörte! Daraufhin marschierten Repräsentant*innen aus rund 600 Gemeinden nach Mexiko-Stadt und erwirkten hier 1984 nicht nur die Freilassung politischer Gefangener, sondern auch den offiziellen Zuspruch des besetzten Landes.
Nun machte sich Aufbruchstimmung breit: Eine Alphabetisierung setzte ein und Bäuer*innen begannen erstmalig, kollektiv neue Gemeinden aufzubauen und Kaffee für den eigenen Nutzen anzubauen.
Organisierung und Rückschläge (1980er bis 1994)
Viele Bäuer*innen organisierten sich in der maoistischen Bauernorganisation Unión de Uniones. Die Unión war sehr erfolgreich und aus ihr ging eine Kreditunion hervor. Dies ermöglichte den legalen Kauf von weiteren Ländereien. Gecoacht von städtischen Berater*innen begannen einige Gemeinden, sich kollektiv im Kaffeeanbau zu organisieren. Doch das Experiment scheiterte an Missgunst, Neid und einer Idee von Kollektivierung, die nicht an die Verhältnisse und Traditionen vor Ort anknüpfte. Hinzu kamen ständig schwankende Marktpreise, Abhängigkeiten von den Zwischenhändler*innen und der bodenlose Fall des Kaffeepreises 1989. Zurück blieben Schulden.
Zudem wandelte sich die Unión de Uniones, die anfänglich in Opposition zum Staat stand, zum staatlichen Propagandawerkzeug für die Privatisierung des Landes. So wandten sich die Sprecher der Unión im Kontext des Kampfes um die Präsidentschaftswahl gegen die indigenen Bäuer*innen und wollten unverkäufliches Gemeindeland privatisieren. Die indigene Bewegung schien am Boden.
Zapatistischer Aufstand und neue Kaffeekooperativen (1994 bis heute)
Die Preiskrise des Kaffees und das NAFTA-Abkommen [4], welches die Zölle für landwirtschaftliche Produkte der USA abschaffte und die Kleinbäuer*innen in eine direkte Konkurrenz mit US-amerikanischen Großunternehmen drängte, bedrohten die Indigenen existentiell: „mit der NAFTA werden sie uns ohne Kugeln töten.“ [5] Sie sahen nur noch einen Ausweg, um aus der existentiellen Armut und Marginalisierung auszubrechen: Den bewaffneten Aufstand. Sie schlossen sich als indigene Aufständische, als Zapatistas, zusammen und am 01.01.1994, am Tag des Inkrafttretens des Freihandelsabkommens, besetzten sie fünf Bezirkshauptstädte in Chiapas und erklärten der mexikanischen Regierung den Krieg (siehe auch: „Wer sind die Zapatistas und wie organisieren sie sich?“).
Auf Druck der Zivilgesellschaft endeten nach zwölf Tagen die bewaffneten Auseinandersetzungen mit der Regierung und zwei Jahre später wurden im Vertrag von San Andrés Autonomierechte der indigenen Bewegung festgelegt. Diese wurden jedoch im Nachhinein vom mexikanischen Staat nicht anerkannt und umgesetzt. Stattdessen wurden die Zapatistats militärisch bekämpft. Diese reagierten mit einer internationalen Mobilisierung für ihre Rechte und gaben der globalisierungskritischen Linken entscheidende Impulse.
Im Jahr 1996 luden die Zapatistas Besucher*innen aus der ganzen Welt zum „Intergalaktischen Treffen gegen den Neoliberalismus und für die Menschheit“ zu sich ein. Die Öffnung der Gemeinden für rund 3.000 Besucher*innen aus etwa 54 Nationen ermöglichte eine starke Zusammenarbeit mit Unterstützer*innen. So war die internationale praktische Solidarität der Auslöser für die Gründung der ersten zapatistischen Kaffeekooperative Mut Vitz, die für den Export produzierte. Ziel der Kooperative war es, die Kontakte ins Ausland für den direkten Kaffeeexport zu nutzen, um so das Abhängigkeitsverhältnis von den Zwischenhändler*innen zu brechen. Dies gelang, so dass endlich ein gerechter Preis für den Kaffee bezahlt wurde und die zapatistische Bewegung insgesamt finanzielle Unterstützung für ihre Autonomiebestrebungen erfuhr.
Mittlerweile gibt es zwei große zapatistische Kaffeekooperativen mit über 1.200 Mitgliedern, die in rund acht Länder exportieren. Der Erfolg der Kaffeekooperativen trägt maßgeblich zur wirtschaftlichen Autonomie der Zapatistas bei. Er ermöglicht ihnen die Unabhängigkeit von staatlichen Programmen oder Projekten, die oftmals als Tarnung dienen, um neue Abhängigkeiten zu schaffen oder die Autonomiebestrebungen zu brechen.
[1] Der Begriff stammt aus der Zeit des Kolonialismus und bezeichnet die Nachfahren von Spanier*innen und Indigenen in Lateinamerika. „Mestizen“ erhoben sich gegenüber Indigenen durch Privilegien und Rechte.
[2] http://www.deutschlandfunk.de/ende-eines-regimes.871.de.html?dram:article_id=127344 (03.02.2018)
[3] P. Gerber (2005): Das Aroma der Rebellion, S. 25
[4] North American Free Trade Agreement
[5] Subcomandante Marcos in: Marta Durán de Huerta (1994/2001): Yo Marcos. Gespräche über die zapatistische Bewegung, S. 94