387 Feminizide in Mexiko und Protest gegen sexualisierte Gewalt

La Rebelión Feminista

Die ohnehin schlechte Menschenrechtssituation in Mexiko ist für Frauen, Lesben, Transgender und Intersexuelle (FLTI*) besonders dramatisch. Morde und Hassverbrechen an Frauen haben in dem Land eine solche Dimension erreicht, dass mit einem eigenen Wort bezeichnet werden: Feminizide. Bis Ende 2018 sind bereits 387 Frauen umgebracht worden, 38 davon noch minderjährig.

Nane Kley berichtet auf amerika21: "Im vergangenen Mai wurden auf nationaler Ebene innerhalb nur eines Monats 56 Feminizide gezählt. Im Juni lag der Wert bereits bei 70 weiblichen Todesopfern und somit nur knapp unter dem bisher monatlichen Höchstwert von 71 Feminiziden im April. Die meisten Morde an Frauen in der ersten Jahreshälfte fanden in den Bundesstaaten México (36), Veracruz (36), Nuevo León (30), Chihuahua (28), Guerrero (25) sowie Mexiko-Stadt (22) und Sinaloa (21) statt. Die Städte Ciudad Juárez, Culiacán und Chihuahua zählen hingegen die meisten Feminizide auf kommunaler Ebene."(1)

Doch immer öfter organisieren sich FLTI* in Mexiko und anderen Ländern und kämpfen um ihre Rechte. Im Frühjahr 2018 hat ein weltweites Treffen von „kämpfenden Frauen“ in den zapatistischen Gemeinden stattgefunden. In verschiedenen kulturellen und politischen Versammlungen wurde über Geschlechterrollen und Perspektiven der Selbstorganisierung gesprochen. Es gab Konzerte, ein Fußballturnier und viele andere Aktivitäten. Ein Beispiel für die aktuelle Bedeutung der Erfahrungen des zapatistischen Aufstandes für Aktivist*innen in aller Welt. Und seitdem gehen Proteste und selbstorganisierte Vernetzungen weiter.

Der internationale Tag gegen Gewalt gegen Frauen

In den Jahren 2012 bis 2017 gab es in Chiapas 269 Feminizide. Meldungen zur Gewalt gegen Frauen in Chiapas stiegen im Vergleich zum Vorjahr zuletzt um 295 Prozent. Das Frauen*kollektiv Colem und die Beobachtungsstelle für Frauenmorde haben daher am 25. November 2018 das oberste Staatsanwaltschaftsbüro im Justizpalast der Stadt symbolisch geschlossen. Etwa 80 Frauen brachten Plakate und Transparente am Rande des Gebäudes an. Sie kritisierten Rechtlosigkeit und staatliche Untätigkeit bei Feminiziden. Nach der Aktion vor dem Justizpalast demonstrierten die Teilnehmer*innen zum zentralen Park und forderten Gerechtigkeit für eine Reihe von Frauen, die Gewalt erlitten hatten.

"Gewalt gegen Frauen in Mexiko wird durch Armut und Zugehörigkeit zu indigenen Völkern verschärft, aufgrund einer dreifachen historischen Diskriminierung im Land", sagten sie in einer Erklärung. Gewalt gegen Frauen beruht in Südmexkio neben der vorherrschenden patriarchalen Kultur auf strukturellen und sozialen Defiziten, die von der Regierung ignoriert und nicht verbessert werden. Die Protestierenden forderten stattdessen den Zugang von Mädchen und Frauen zu Gesundheit, Bildung menschenwürdiger Arbeit, Kultur, Landbesitz, Ernährung, politische Teilhabe, freie Meinungsäußerung, Mobilität, Gerechtigkeit und Zugang zu einem gewaltfreien Leben.

Verschwindenlassen von Frauen und Mädchen in Mexiko

Die Menschenrechtsorganisation Idheas hat in der Studie: "Verschwindenlassen von Frauen, Jugendlichen und Mädchen im Estado de México, 2018" zudem festgestellt, dass 25 Prozent der Verschwundenen in Mexiko sind Frauen und Mädchen sind. Betroffen sind vor allem junge Frauen: 47 Prozent der Betroffenen waren 10 bis17 Jahre lat und 15 Prozent zwischen 21 und 29. Die gesellschaftliche Dimension des Verschwindens von Menschen in Mexiko steht im Zusammenhang mit Korruption und Verflechtungen der organisierten Kriminalität mit Politik und Behörden. Häufig stehen Fälle des Verschwindenlassens in direktem Zusammenhang mit politischer Repression. 

Als Beispielhaft für die gesellschaftliche Dimensionen gilt bis heute das Verschwinden von 43 Studenten einer Hochschule in Ayotzinapa. Auf dem Weg zu einer Kundgebung für eine Bildungsreform wurde die Gruppe von der örtlichen Polizei überfallen und sechs Mitglieder direkt erschossen. Die Studierenden wurden von der Polizei verhaftet und direkt an das Drogen-Syndikat Guerreros Unidos übergeben. Ein Auftragsmörder der Gruppe gestand die Ermordung der Studierenden nachdem diese vom örtlichen Polizeichef persönlich übergeben worden seien. Die Leichen seien verbrannt und die Überreste an unbekannter Stelle vergraben worden. Als verantwortlich gilt der Bürgermeister von Iguala José Luis Abarca Velázquez und seine Frau María de los Ángeles Pineda Villa. Hintergrund waren Befürchtungen, die Studierenden könnten eine Kundgebung der sozialdemokratisch orientierten Partido de la Revolución Democrática (PRD) stören, bei der eine erneute Kanidatur verkündet werden sollte. Die Betroffenen sind bis heute verschwunden und das Verbrechen ist nie vollständig aufgeklärt worden.

Im ganzen Land gibt es seit 2014 aber Proteste und Gruppen die Aufklärung über den Verbleib von Angehörigen fordern. Ob verschwundene Frauen und Mädchen Opfer von organisierten Verbrechen oder von familiärer Gewalt wurden oder von staatliche Kräften wie Polizei, Militär und Regierung, lässt sich dabei oft nur schwer ermitteln. (2)

Massenproteste gegen sexualisierte Gewalt in Chile

In Chile haben im Mai 150.000 Menschen gegen sexualisierte Gewalt und Morde an Frauen demonstriert. Studierende und andere gesellschaftliche Gruppen mobilisierten mit dem Slogan „Gegen Macho-Gewalt und sexistische Bildung“ in der Hauptstadt Santiago und anderen Städten des Landes.

Die Teilnehmenden waren überwiegend FLTI*, die mit Sprechchören "Nein heißt Nein" und Plakaten mit Forderungen nach einer "nicht-sexistischen Erziehung" und für ein Ende sexueller Gewalt an Universitäten und Schulen demonstrierten. Im Rahmen der Demonstration gab es Angriffen der Polizei auf den Demonstrationszug.

Bereits seit April entsteht in Chile eine immer stärkere Protestbewegung gegen Sexismus. Anstoß hatte ein Fall von sexualisierter Gewalt an einer Universität gegeben, gegen den sich die Student*innen mehrerer Hochschulen solidarisierten. Ende April erschütterte zudem die Geschichte eines 20 Monate alten Mädchens das Land, das nach einer Vergewaltigung gestorben war.

*Feminizid betrifft uns alle*

Auch TAJÊ, die Frauenbefreiungsbewegung der Ezidinnen und kurdische Gruppen, riefen Anfang August zu einem internationalen Aktionstag gegen Feminizid auf: "Die systematische Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts stellt ein globales Phänomen dar und umfasst außerdem jegliche körperliche, seelische, wirtschaftliche und strukturelle Gewalt an und Ausgrenzung von Frauen. Geschlechtsspezifische Gewalt bedroht das Leben, die Gesundheit und die Rechte von Milliarden von Frauen auf der ganzen Welt. Jedoch bleiben die Täter wie im Fall der Terrororganisation IS und seinen Verbündeten meist unbestraft. Denn im Gegensatz zu Genozid stellt Feminizid größtenteils im nationalen und internationalen Recht keine eigene Kategorie dar. Dabei geschieht Genozid nur zu oft in Form von Feminizid, wie im Beispiel von Sindschar. Deshalb rufen wir die Frauen der Welt dazu auf, den 3. August als Internationalen Aktionstag gegen Feminizid zu begehen und an diesem Tag mit verschiedenen Aktionen auf die Situation von verschleppten, versklavten und ermordeten Frauen in Sindschar und weltweit aufmerksam zu machen." (3)

"Die Zeit der Frauen ist gekommen"

2017 wurde die indigene Aktivistin Marichuy durch die EZLN und den CNI, einen landesweiten Rat der indigenen Bevölkerung, zur Präsidentschaftskandidatin aufgestellt. Bei der Kandidatur ging es nicht darum, Wahlen zu gewinnen, sondern auf die dreifache Unmöglichkeit einer Armen, Indigenen und Frau als Präsidentin in der Vorstellungskraft der mexikanischen Gesellschaft hinzuweisen und den dahinterliegenden Rassimus und Sexismus zu offenbaren.

Bei einer Kundgebung vor der Universität in Mexiko City erklärte sie trotz mehreren Angriffen und Anschlägen: „Die Zeit der Frauen ist gekommen und zweifelt nicht daran: Wir gehen aufs Ganze.“

1 Quelle: Nane Kley, amerika21

Mehr Informationen auf spanisch: jornada

2) https://amerika21.de/2018/09/213151/mord-verschwindenlassen-frauen-maedchen

3) Quelle: anf

 

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