Unterstützungserklärung und Aufruf zu Aktionstagen
Stoppt den Krieg gegen zapatistische Gemeinden!
Am 22. Mai 2023 wurde Gilberto López Santiz während eines bewaffneten Angriffs durch Paramilitärs auf die zapatistische Gemeinde Moisés y Gandhi in Chiapas angeschossen und schwer verwundet. Dies war nicht der erste Angriff auf die Gemeinde. Weitere Übergriffe und Bedrohungen durch paramilitärische Verbände waren ihm vorausgegangen und führen zu einer zunehmend eskalierenden Gesamtsituation.
Dabei lässt die Regierung unter López Obrador die bewaffneten Gruppen einerseits gewähren und setzt andererseits ökonomische Anreize, die zum Landraub durch offene Gewalt ermutigen. Während der Staat Megaprojekte wie den Tren Maya vorantreibt, soll der indigene Widerstand gebrochen werden. Zusammen mit einer Militarisierung der Region insgesamt sind die irregulären Angriffe Teil einer Kriegsführung niedriger Intensität. Sie richtet sich gegen die Autonomie der zapatistischen und anderer widerständiger Gemeinden, soll ihnen das Land und damit die Lebensgrundlage streitig machen und sie so in ihrer Selbstorganisierung und politischen Handlungsfähigkeit lähmen.
Als Café Libertad Kollektiv stehen wir solidarisch an der Seite der Zapatist:innen und unterstützen eine international breit getragene Solidaritätserklärung aus Mexiko, die ein Ende der Gewalt fordert und zu globalen Aktionstagen mit Schwerpunkt auf den 8. Juni aufruft.
Nachfolgend dokumentieren wir die Erklärung. Die spanischsprachige Originalfassung sowie Übersetzungen in weitere Sprachen und eine Liste der Unterstützer:innen sind auf der Webseite des Solidaritätskollektivs Camino al andar zu finden:
Erklärung aus Mexiko und der Welt zur Aggression gegen die Gemeinde Moisés Gandhi
Juni 2023
An die Bevölkerung Mexikos und der Welt
An die Menschen, Kollektive und Pueblos, die das Leben verteidigen
An alle, die angesichts eines mexikanischen Südostens, der in Flammen steht, die Dringlichkeit zu handeln verspüren
Am heutigen Tag, in diesem Moment, ist Mexiko am Limit – an jenem Limit, das immer weit entfernt scheint, bis eine Kugel von oben die Wut des Mexikos von unten entfacht. Der zapatistische Compañero Jorge López Santíz wurde bei einem paramilitärischen Angriff der Regionalen Organisation der Kaffeebauern von Ocosingo (Organización Regional de Cafeticultores de Ocosingo, ORCAO) lebensgefährlich verletzt – einer Organisation, die schon seit Längerem die zapatistischen Gemeinden bedroht und angreift. Angesichts der Paramilitärs, der Auftragsmörder der verschiedenen Kartelle, der Selbstverteidigungsgruppen und der aktiven oder passiven Komplizenschaft der Regierungen von Rutillo Escandón Cadenas und Andrés Manuel López Obrador steht Chiapas an der Schwelle zum Bürgerkrieg.
Die zapatistische Befreiungsarmee EZLN, die den Frieden aufrechterhalten und in ihren Territorien ihren Autonomieprozess vorangetrieben hat und stets bemüht war, gewalttätige Auseinandersetzungen mit Paramilitärs und anderen Kräften des mexikanischen Staates zu vermeiden, wird kontinuierlich bedroht, angegriffen und provoziert. Seit Ende des 20. Jahrhunderts hat die EZLN bis heute ihren politischen Kampf mit zivilen und friedlichen Mitteln geführt, obwohl ihre Gemeinden mit Schusswaffen angegriffen und ihre Ernten in Brand gesetzt werden und ihr Vieh vergiftet wird. Auch wenn sie ihre Arbeit nicht in den Krieg investiert haben, sondern in den Aufbau von Krankenhäusern, Schulen und autonomen Regierungsformen, von denen sowohl Zapatistas als auch Nicht-Zapatistas profitieren, haben alle Regierungen von Carlos Salinas bis López Obrador versucht, sie zu isolieren, ihnen die Legitimation abzusprechen und sie zu vernichten. Jetzt – wenige Monate, bevor der Kampf der EZLN seinen 40. Jahrestag begeht – hängt das Leben eines Mannes nach dem paramilitärischen Angriff der ORCAO am seidenen Faden, und an diesem Faden hängt auch der Ausbruch des Mexikos von unten, das den Druck auf seine Würde und den Krieg gegen seine Gemeinden und Territorien nicht länger aushält.
Der Angriff der ORCAO ist kein Konflikt zwischen Gemeinden, wie ihn Carlos Salinas beschrieben hätte und wie ihn sicher auch López Obrador einzuordnen beabsichtigt. Die direkte Verantwortung für diesen Angriff liegt bei der Regierung von Chiapas und der Regierung von Mexiko. Bei der Regierung von Chiapas, weil sie das Wachstum krimineller Gruppen vertuscht hat, die bewirkt haben, dass Chiapas von einem relativ ruhigen Bundesstaat zu einem Hotspot der Gewalt wurde. Und bei der Regierung von Mexiko, weil sie zu der offenkundigen Situation im mexikanischen Südosten schweigt und passiv bleibt. Warum greift die ORCAO die zapatistischen Gemeinden an? Weil sie es kann. Warum lässt die Regierung von Rutilio Escandón das zu? Weil Regieren für das Chiapas von oben bedeutet, in indigenem Blut zu baden. Warum schweigt López Obrador? Weil der Gouverneur von Chiapas der Schwager seines geliebten Regierungssekretärs Adán Augusto López ist, weil er es – wie schon seine Vorgänger – nicht erträgt, dass eine rebellische Gruppe als Vorbild für die Hoffnung und Würde dient, und weil er eine militärische Aktion zur „Säuberung“ des Südostens rechtfertigen muss, um letztlich seine Megaprojekte durchsetzen zu können.
Gleichermaßen verstehen wir diesen Angriff als Ergebnis der spalterischen und korrumpierenden Sozialpolitik der derzeitigen Regierung, die das soziale Gefüge der Gemeinden und Pueblos in Mexiko und insbesondere in Chiapas zerstört. Voller Sorge sehen wir, das Programme wie„Sembrando Vida“, das praktisch über das gleiche Budget verfügt wie das Landwirtschaftsministerium, und weitere ähnliche Programme die Konfrontationen zwischen Gemeinden fördern, die im Verlauf der Geschichte ihres Landes und ihrer Rechte beraubt wurden, da sie als Mechanismen der politischen Kontrolle und Tauschwährung benutzt werden, damit sich Organisationen wie die ORCAO mit dem Raub von wiedererlangtem zapatistischem autonomem Land Zugang zu den angeblichen Vorteilen dieser Programme verschaffen. Für uns ist klar, dass es sich nicht um einen Konflikt zwischen Pueblos [Dörfern/Völkern, Anm. d. Ü.] handelt, sondern um einen Akt der Aufstandsbekämpfung, mit dem versucht wird, sie zu zerstören, die EZLN zu zerstören und alle Gemeinden und Pueblos, die für ein Leben in Würde kämpfen.
Wir Unterzeichner*innen dieses Briefes rufen alle, die glauben, dass sich die Würde und das Wort Gehör verschaffen müssen, dazu auf, das sich abzeichnende Massaker zu verhindern; wir rufen alle Unterstützer*innen der derzeitigen Regierung unabhängig von ihren politischen Zugehörigkeiten und Sympathien auf, angesichts der Ungerechtigkeiten, die die Gegenwart dieses Landes überfluten, ihre Herzen zu öffnen; damit wir uns in dieser Notwendigkeit begegnen und mit dem gemeinsamen Ziel handeln können, diese Gräuel zu stoppen.
Wir unterzeichnen diesen Brief, weil wir es für dringend erforderlich halten, dass die paramilitärische Gewalt in Chiapas gestoppt wird, denn wenn das nicht geschieht, wird Mexiko noch tiefer in dem endlosen Krieg versinken, der das Land in Fetzen reißt.
Wir fordern Gerechtigkeit für Jorge López Santíz.
Wir fordern die vollständige Auflösung der ORCAO.
Wir fordern, dass die Regierung von Rutilio Escandón einer eingehenden Untersuchung unterzogen wird.
Wir fordern, dass das Schweigen von López Obrador die Gewalt in Chiapas nicht länger befördert.
Wir greifen die Forderungen des Nationalen Indigenen Kongresses (Congreso Nacional Indígena, CNI) auf und fordern:
1. Dass die Gesundheit des Compañero Jorge garantiert wird und er alle notwendigen Behandlungen erhält, solange wie er sie benötigt.
2. Dass der bewaffnete Angriff auf die Gemeinde Moisés Gandhi gestoppt wird und ihr autonomes Territorium respektiert wird.
3. Dass die materiellen und geistigen Urheber dieser paramilitärischen Angriffe bestraft werden.
4. Dass die bewaffneten Gruppen, über die der Krieg gegen die zapatistischen Gemeinden aufrechterhalten und ausgeweitet wird, aufgelöst werden.
Außerdem fordern wir die sofortige Freilassung von Manuel Gómez von der Unterstützungsbasis der EZLN, dessen ungerechte Inhaftierung wir nicht vergessen.
Gemeinsam mit dem CNI weisen wir darauf hin, dass der Krieg, der den Pueblos Originarios, den Hüter*innen von Mutter Erde, erklärt wurde, uns zum organisierten Handeln zwingt, um die wachsende Gewalt zu stoppen und unsere Verbindung und unsere Sorge für das Leben wiederherzustellen. Wir rufen dazu auf, auf die Straße zu gehen und in den Botschaften und Konsulaten, in den Studienzentren und an den Arbeitsplätzen, in den sozialen Netzwerken – überall dort, wo es uns möglich und unerlässlich ist, gegen die militärische und paramilitärische Gewalt und das organisierte Verbrechen und für das Leben zu demonstrieren.
Wir rufen uns und alle dazu auf, unsere Kräfte zu bündeln und vom 27. Mai bis zum 10. Juni eine Reihe von Aktionstagen zu organisieren, wobei es am 8. Juni eine koordinierte Aktion in Mexiko und weltweit geben soll.
Stoppt den Krieg gegen die Pueblos Zapatistas!
Wenn sie eine*n von uns anfassen, fassen sie uns alle an.