Postkoloniale Ausbeutung dominiert bis heute den Welthandel
Von Rohkaffeepreisen und "Papierkaffee"
Mechanismen und Probleme des herkömmlichen Kaffeehandels
Kaffee ist nach Erdöl eines der wichtigsten Handelsgüter auf Erde. Weltweit arbeiten im Kaffeegeschäft rund 100 Millionen Menschen. Sie sind in Anbau, Verarbeitung und Handel tätig. Etwa 80 Prozent des Kaffees werden dabei von über 25 Millionen Kleinbäuer*innen, die weniger als 10 ha Land besitzen, im Familienzusammenhang produziert. Viele von ihnen leben von weniger als 2 Dollar pro Tag und sind durch Preisschwankungen von Armut und Hunger bedroht. [1] Es wurden bereits Hungersnöte durch einen Preisverfall beim Rohkaffee ausgelöst.
Von den gut 150 Millionen Sack, die im Durchschnitt jährlich geerntet werden, gehen etwa 70 Prozent in den Export. Nach Deutschland werden im Jahr ca. 1,14 Millionen Tonnen importiert. Hier wird der Kaffee zumeist veredelt und dann international weiterverkauft: Deutschland ist der größte Exporteur von Kaffeeprodukten, obwohl hier keine Kaffeepflanze wächst! [2]
Umverteilung von unten nach oben: Wer verdient was?
Die folgende Abbildung verdeutlicht, dass der geringste Teil des Erlöses für eine Tasse Kaffee an die Arbeitenden geht – an jene, die den Kaffee produzieren. Für Anbau, Waschung, Trocknung und Verpackung vor Ort wird kaum etwas gezahlt. Die Transport- und Verarbeitungsprozesse, die hauptsächlich in den Industrieländern geleistet werden, machen hingegen über 80 Prozent des Preises aus. Wertschöpfung, und damit ein möglicher wirtschaftlicher Aufschwung, findet also nicht in den Erzeuger-, sondern in den Abnahmeländern statt.
Entwicklungen beim Kaffeepreis
Der Rohkaffeepreis wird von vielen Faktoren beeinflusst. Nicht nur das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage in Abhängigkeit von den Erntemengen, sondern auch Spekulationen an der Börse mit sogenanntem Papierkaffee sowie spekulative Bevorratungen und Warentermingeschäfte führen zu Schwankungen und können Preisverfälle zur Folge haben, die besonders Kleinbäuer*innen und Kooperativen zu spüren bekommen.
Genauso bedeuten steigende Weltmarktpreise für Kaffee häufig keine besseren Preise für die Bäuer*innen. Gewinnspannen verbleiben oft bei großen Händler*innen. Während sie in Hochpreisphasen Kaffee zusätzlich in den Weltmarkt werfen, werden in Niedrigpreisphasen neue Verträge abgeschlossen und Kaffee bevorratet. Es ist ähnlich wie bei allen Finanztransaktionen. Je kleiner die Akteur*innen sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie Verluste machen. Je mehr Geld jedoch im Hintergrund zur Verfügung steht, umso wahrscheinlicher sind hohe Gewinne. Auch Missernten sind daher nicht zwangsläufig mit besseren Preisen für die Bäuer*innen verbunden. Der Weltmarkt besitzt zudem ausreichende Kapazitäten, um Ernteausfälle aus einzelnen Region zu kompensieren.
Dies war jedoch nicht immer so: Aufgrund der starken Preisschwankungen und der darauffolgenden Verarmung der Bäuer*innen schloss 1962 die International Coffee Organization (IOC) ein Kaffeeabkommen ab, das das Weltmarktgeschehen zwischen Produktions- und Abnahmeländern regulierte. Für jedes kaffeeproduzierende Land wurden Quoten festgelegt, um eine Überproduktion und damit einen Preisverfall zu vermeiden. Nach dem Kalten Krieg traten die USA aus dem Abkommen aus, da für sie der Nutzen – zu verhindern, dass sich verarmte Bäuer*innen der kommunistischen Bewegung anschließen – verloren gegangen war. Seither darf jedes Land beliebig viel Kaffee produzieren und exportieren. Da die Preise nicht mehr gesichert waren, versuchten viele Kleinbäuer*innnen, noch mehr zu produzieren, um den Preisverlust zu kompensieren. Dies hat die Überproduktion abermals angekurbelt. Darüber hinaus begannen weitere Länder, teilweise unterstützt durch die Weltbank, zusätzlich Kaffee anzubauen (z.B. Vietnam), so dass weitere Überschüsse anfielen. In der Folge fiel der Kaffeepreis ins Bodenlose. Die Konsequenzen bekamen die Bäuer*innen zu spüren: In Äthiopien kam es zu einer Hungersnot, in Lateinamerika mussten Tausende ihre Felder aufgeben und zogen hungernd in die Slums. Weltweit kam es auf den Feldern vermehrt zum Einsatz von Kinderarbeit. [4]
Seither hat sich der Kaffeepreis wieder erholt. Jedoch bestimmen nach wie vor starke Preisschwankungen das Kaffeegeschäft, was, wie bereits dargelegt, weiterhin vor allem zu Lasten der Produzent*innen geht.
Hinzu kommt, dass Kaffee an der Börse zu einem Spekulationsobjekt geworden ist. Teilweise haben sich hierdurch die Preise von der Angebots- und Nachfragesituation entkoppelt und sind noch unvorhersehbarer geworden. Demgegenüber bräuchten gerade die Kleinbäuer*innen einen Rahmen für einen verlässlichen Absatz. Da aber ihre Möglichkeiten zur Einflussnahme auf den Weltmarkt äußerst gering sind, ist ein neues internationales Kaffeeabkommen nicht in Sicht. [5]
Wertschöpfung im globalen Norden
Der Veredelungsprozesse von Rohkaffee und damit zusammenhängende Preissteigerungen von ca. ein Euro auf bis zu über 1.000 Euro pro kg für Spezialitätenkaffees finden vorwiegend in den reichen Industrieländern wie Deutschland statt. Ein großer Teil des Kaffeepreises geht nicht an Bäuer*innen, sondern in Verbrauchssteuern oder die Vermarktungskosten von Produkten.
Neben einer Verbrauchssteuer von 7 Prozent fällt in Deutschland zusätzlich eine Kaffeesteuer von 2,19 Euro pro kg Röstkaffee an. Die Einnahmen dieser ohnehin ungerechten – weil nicht einkommens-, sondern verbrauchsorientierten Besteuerung – kommt auch nicht den Produktionsländern zugute. Es profitieren Deutschland und die EU als Wirtschaftsstandorte und dominantem Akteur*innen im Welthandel. Globale Ungerechtigkeiten werden so fortgeschrieben. Ein großer Teil der Wertschöpfung bleibt im globalen Norden. Dessen Einfuhrzölle für verarbeitete Produkte erschweren es den Produzent*innen zusätzlich, den Status von Rohstofflieferant*innen hinter sich zu lassen und selbst weitergehende Produktionsketten und tragfähige lokale Ökonomien aufzubauen.
Auch Einflüsse der europäischen Niedrigzinspolitik wirken sich negativ aus. Der Abwertungs- und Inflationskurs der EZB folgt einer postkolonialen Logik: Exporte sollen gefördert werden und Staatsschulden sich durch eine Zunahme der Inflation in Luft auflösen. Dieses Modell setzt auf hohen Preisdruck und möglichst geringe anfallende Kosten beim Einkauf von Rohstoffen im Verhältnis zu möglichst viel Wertschöpfung im eigenen Wirtschaftsraum. Zudem begünstigt es neue Spekulationen und Spekulationsblasen am Finanzmarkt mit 'Papierkaffee' oder sonstigen Lebensmitteln.
Begünstigt wird durch die Niedrigzinspolitik vor allem der konventionelle Handel, da sich Währungsschwankungen für Akteur*innen im fairen oder solidarischen Handel stärker auswirken. Höhere Verbraucherpreise treffen dabei besonders ärmere Bevölkerungsschichten, die zudem von steigenden Mieten betroffen sind. Niedrige Zinsen kommen hingegen vor allem Menschen zugute, die bereits Geld besitzen und sich z.B. Immobilien kaufen, was die Marktsituation zusätzlich verschärft. Eine Abwärtsspirale, die sich auf alle auswirkt.
Kaffeequalität und Röstverfahren
Kaffeehandel und -konsum sind geprägt durch die Kolonialgeschichte: Ursprünglich wurde Kaffee nur für den Export und damit für die reichen Industrienationen angebaut. Dies führte dazu, dass bis heute die beste Ware exportiert und Kaffee in den Importländern komplexer verarbeitet wird. Hier sind die Ansprüche an den Geschmack im Durchschnitt deutlich höher und es gibt zahlreiche exakte Anleitungen, die bis zum Genuss des Getränks durchgeführt werden sollten (betreffend Röstung, Kaffeemaschine, Mahlgrad, Temperatur des Wassers zum Aufbrühen etc.). Viele der Verarbeitungs- und Veredelungsverfahren sind sehr ausgefeilt und teilweise auch patentiert. [6] Deutlich werden die Kaffee-Expertise und der Stellenwert von Kaffee als Luxusgut auch anhand des großen Segments von Gourmetkaffee.
Da der Geschmack an oberster Stelle steht, wird eine möglichst frische Röstung bevorzugt. Für die Erzeugerländer bedeutet dies, dass sie oftmals qualitativ nicht mit der Kaffeekultur in den Industrienationen mithalten können und auch nicht die Chance bekommen, ihren Kaffee geröstet zu exportieren. Denn er würde durch darauffolgende lange Liefer- und Lagerzeiten an Qualität und an Geschmack einbüßen und kaum einen Absatzmarkt finden. Daher verwundert wenig, dass nur 5 Prozent gerösteter Kaffee exportiert werden. [7]
Auch diese Gründe erschweren es Akteur*innen aus den Erzeugerländern, den europäischen Kaffeemarkt für sich zu erschließen und aus der bloßen Rolle der Rohkaffeelieferant*innen auszubrechen. Eine bessere Zugänglichkeit zu Logistiklösungen und solidarische Netzwerke können hier ebenso die Möglichkeiten lokaler Produzent*innen erweitern, wie es durch Verbesserungen der lokalen Infrastruktur und Weiterbildungsprogramme vor Ort gelingt.
Monopole
Der Kaffeehandel wird von fünf multinationalen Handels- und Röstfirmen dominiert. [8] Kleinbäuer*innen haben in der Preispolitik dieser Unternehmen keinen Einfluss und kein Mitspracherecht. Durch diese Monopole sind alternative Preis- und Handelsstrukturen nur in Nischen zu organisieren. Bäuer*innen, die sich nicht organisieren, bleiben in einem einseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Auch Fair Trade ist nur ein Nischenprodukt, der Anteil von Fair Trade-Kaffee am Gesamtmarkt liegt bei 4,4 Prozent.[9]
Das Problem beim Namen nennen
Ungleiche und unfaire Handelsbeziehungen sind nicht die Ausnahme, sondern die Norm. Kapitalistische Verwertungslogiken bestimmen die handelsüblichen Marktmechanismen und führen zur Ausbeutung von Mensch und Natur, zu Leid und Verelendung. Kriegerische Auseinandersetzungen und der Klimawandel sind nur Spitzen im Eisberg dieses Systems.
Da die globalen Marktlogiken durchdringend wirken, müssen auch wir uns bei Café Libertad in diesem Spannungsfeld bewegen. Das bedeutet konkret zum Beispiel, dass wir unsere Preise mit den Kooperativen so solidarisch wie möglich verhandeln – uns aber eben nicht in einem luftleeren, utopischen Raum befinden, sondern auch mit den Realitäten im wahrsten Sinne des Wortes rechnen müssen.
Wichtig ist uns die Problematisierung und Bekämpfung des kapitalistischen Systems als Ganzes. Leider ist seine Abschaffung zurzeit jedoch nicht in Sicht. Oftmals wird sich mit wenigen politischen Forderungen für eine akute Verbesserung der Lage der Produzent*innen begnügt. Solche Forderungen gibt es von unterschiedlichen Gruppen und Organisiationen, wie etwa das Forum Fairer Handel (FFH):
- * Importverbot für Rohstoffe und Waren, für die nicht mindestens ein Mindestlohn bezahlt wurde.
- * Sofortiger Stopp von Spekulationen auf Lebensmittel und dem Handel an der Börse mit Nahrungsmitteln.
- * Nachweispflicht von Unternehmen, dass die gesamte Lieferkette der importierten Produkte die internationalen Menschen- und Umweltrechtsstandards einhält; diese Abkommen sind rechtlich über Handelsverträge zu stellen.
- * Bei Verletzung der Sorgfaltspflicht muss es Betroffenen aus dem Ausland möglich sein, deutsche Unternehmen vor deutschen Gerichten zu verklagen.
- * „Die europäische Agrarpolitik wird überwacht und muss kohärent mit den nachhaltigen Entwicklungszielen sein. Es sollte ein regelmäßiges Monitoring ihrer Auswirkungen auf die Märkte des Südens geben sowie Beschwerdemechanismen für Produzent_innen in Entwicklungsländern.“ [10]
Der Faire Handel hat sich zugleich gegründet, um nicht bei Appellen stehen zu bleiben, sondern den ausbeuterischen Strukturen konkret etwas entgegenzusetzen. Doch auch hier gibt es Unterschiede und die vielfältigen Labels und Auszeichnungen tragen oft mehr zur Verwirrung denn zu einer Klarheit von Standards und Vorgehensweisen bei.
[1] https://www.fairtrade-deutschland.de/produkte-de/kaffee/hintergrund-fairtrade-kaffee.html (29.01.2018)
[2] Deutscher Kaffeeverband: https://www.kaffeeverband.de/de/kaffeewissen/handel#welthandel-fakten (29.01.2018)
[3] Statistisches Bundesamt von 2007: www.statista.com; Grafik von Eva Müller: http://www.evamueller.org
[4] http://www.deutschlandfunkkultur.de/internationales-kaffeeabkommen-gescheiterte-hilfe.932.de.html?dram:article_id=273044 (29.01.2018); siehe auch: Jean Ziegler (2005): Das Imperium der Schande
[5] Ebd.
[6] http://www.deutschlandradio.de/archiv/dlr/sendungen/patentes/179741/index.html (9.2.2018); zum ausgefeilten Verfahren zur Herstellung eines Espressos: http://www.spektrum.de/magazin/von-der-bohne-zum-espresso/829764
[7] https://www.kaffeeverband.de/de/kaffeewissen/handel#kaffeewissen-slider-78 (9.2.2018)
[8] 1. Nestlé - 2. Mondelez - 3. D.E. Master Blenders - 4. Green Mountain - 5. Tchibo. Die Statistik ist von 2013, mittlerweile sind jedoch Mondelez und Douwe Egberts zur neuen Nummer 1 fusioniert (mit Sitz in den Niederlanden). In Deutschland teilen sich drei Anbieter gut 45 Prozent des Marktes: 1. Jacobs Douwe Egberts - 2. Tchibo - 3. Nestlé (auf dem 5. Platz liegt Darboven nach Melitta). Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/300720/umfrage/fuehrende-unternehmen-in-der-kaffeeherstellung-weltweit/ (29.01.2018)
[9] Forum Fairer Handel (2017): Aktuelle Entwicklungen im Fairen Handel, online: https://www.faire-woche.de/fileadmin/user_upload/media/fairer_handel/zahlen_fakten/2017-07-20_aktuelle_entwicklungen_im_fh_2017.pdf (31.01.2018)
[10] http://www.forum-fairer-handel.de/politik/visionen-des-fh/ (29.1.2018)