Lampedusa ist überall
Menschen, die illegalisiert hier leben, fehlt es häufig an allem: Wohnraum, Geld für Essen und zum Leben, medizinische Versorgung, Mittel und Möglichkeiten zur rechtlichen Beratung.
Antirassistische Gruppen und selbstorganisierte Gruppen von Geflüchteten wie “Lampedusa in Hamburg” oder “Jugend ohne Grenzen” organisieren Selbsthilfe im Alltag und kämpfen für ihren Aufenthalt und gleiche Rechte. In Berlin machten sie zuletzt durch eine Schulbesetzung auf sich aufmerksam. Auch in Hamburg wurde im Mai dieses Jahres eine Schule als Refugees Welcome Center besetzt und anschließend wieder geräumt.
Vor allem für die Lampedusa Gruppe, mehrere hundert Menschen, welche vor Bürgerkrieg, Nato-Intervention und Verfolgung aus Libyen geflohen sind, fehlen Unterkünfte und das Notwendigste. Nach der europäischen Regelung von Dublin II werden sie in Deutschland nicht anerkannt aufgrund ihrer Einreise über Italien. Sie waren gezwungen in Parks und auf öffentlichen Plätzen zu leben. Es entwickelte sich jedoch auch Solidarität und eine beindruckende Selbstorganisierung.
Lampedusa in Hamburg forderte direkte Gespräche mit den politisch Verantwortlichen, die bis heute verweigert werden. Es wurde ein Protestzelt als ständige Vertretung und zur Kommunikation errichtet und Großdemonstrationen mit bis zu 20 000 Menschen organisiert. Mit dem FC Lampedusa haben sich Geflüchtete als Fussballteam gegründet, welches sich mit Fanzusammenhängen vernetzt und an antirassistischen Turnieren teilnimmt. Mehrere hundert Flüchtlinge leben immer wieder in WGs, Wohnprojekten und selbstverwalteten Zentren auf St. Pauli. Fast täglich fanden Demonstrationen von Nachbar_innen und politischen Aktivist_innen gegen rassistische Kontrollen der Polizei und gegen drohende Abschiebungen statt.
Die harte Linie des Hamburger SPD-Senates stieß auf internationalen Widerspruch und wurde zum Modelfall einer über Leichen gehenden unmenschlichen und zynischen Flüchtlingspolitik. Der Kampf von Lampedusa in Hamburg und Nachbar_innen ist aber auch zum Modellfall gemeinsamer Proteste gegen das europäische Grenzregime geworden.
Flucht aufgrund von Kriegen oder Armut ist ein globales Phänomen. An der US-amerikanisch/mexikanischen Grenze wird derzeit die Nationalgarde mobilisiert, um flüchtenden Kindern mit militärischen Mitteln die Einreise zu verweigern. Im Mittelmeer ertrinken beinahe täglich Menschen, die vor Krieg und europäischen Militärinterventionen flüchten. Auch die Zerstörung bestehender ökonomischer und ökologischer Ressourcen durch europäische Nahrungsmittelkonzerne zwingt immer mehr Menschen zur Flucht.
Der Anbau regionaler Produkte ist mitlerweile häufig teurer als der Billigimport von Abfallprodukten der westlichen Nahrungsindustrie. Mit den Resten aus der Produktion hochwertiger Lebensmittel für den europäischen Markt werden insbesondere ärmere Länder in Afrika überschwemmt um dort anschließend Land, auf dem sich kleinbäuerliche Bewirtschaftung nicht mehr lohnt, an Großgrundbesitzer_innen für Plantagenwirtschaft zum Export zu verkaufen. Zudem werden ganze Küstenstriche von internationalen Fangflotten unter Verletzung der Seerechte leergefischt. Die Folge sind Hunger, Krankheiten und oft Flucht als einzige Möglichkeit zum Überleben.
Seit 15 Jahren betreibt Cafe Libertad in wechselnden Zusammensetzungen solidarischen Handel mit widerständigen Kooperativen. Ziel war und ist die direkte Unterstützung der autonomen zapatistischen Gemeinden und anderer indigener Protestbewegungen. Die Praxis zeigt, dass überall dort wo sich Kleinbäuer_innen in Kooperativen zusammenschließen und eigene ökonomische Strukturen entwickeln, auch mehr Ressourcen für den Widerstand gegen staatliche Interessen und Großkonzerne vorhanden sind.
Solidarität und solidarischer Handel mit widerständigen Kooperativen ist für uns aber auch untrennbar damit verbunden hier vor Ort zu handeln: Café Libertad hat in den letzten Jahren antirassistische Mobilisierungen und Refugees direkt mit mehreren tausend Euro unterstützt. Wir fordern darüber hinaus alle auf, aktiv zu werden und sich für das Bleiberecht der Gruppe Lampedusa in Hamburg und aller anderen Refugees einzusetzen.
Die Forderung nach einer Öffnung der Grenzen und die Unterstützung von Geflüchteten ist keine rein humanitäre Frage. Sie stellt sich -wie solidarischer Handel- auch nicht als Mildtätigkeit oder irgendeine Form von Entwicklungshilfe dar.
Sie ist vielmehr untrennbar verbunden mit dem politischen und wirtschaftlichen Leben hier. Nationalstaatliche Politik verteidigt Wirtschaftsräume und Interessenssphären, die Freiheit von Waren und Finanzströmen, schottet aber sich aber gegen die Menschen ab. Es gibt für uns jedoch keine Außen- und Innenpolitik, sondern lediglich die Frage nach Gerechtigkeit. Diese endet ebenso wenig an der Haustür wie am Supermarktregal oder an Ländergrenzen.
Nur wenn wir Auseinandersetzungen um Recht auf Stadt, Land und soziale Teilhabe grenzüberschreitend verknüpfen, finden wir politische Antworten gegen einen globalisierten Kapitalismus, der wie vor hundert Jahren von postkolonialen Privilegien und Ausbeutung nach dem Prinzip “teile und herrsche” lebt.
Der Kampf für die Teilhabe von Menschen ohne sicheren Aufenthaltsstatus ist für uns deshalb auch ein Kampf für andere Lebensverhältnisse hier und im Ganzen. Oder wie die Zapatist_innen im lakandonischen Urwald es zu Beginn ihres Aufstandes für viele globalisierungskritische Bewegungen formuliert haben: Für eine Welt, in der viele Welten möglich sind.
Auf dem Herzberg und überall: Solidarität mit Geflüchteten!
Bleiberecht und Bewegungsfreiheit für alle!
Eure Crew vom Café Libertad Stand