Ein kritischer Blick auf den Kaffeewelthandel
Neue Preise bei Café Libertad Kollektiv
Liebe Kund:innen, liebe Gefährt:innen und Freund:innen,
Nach einer langen Phase, in der Café Libertad die Verkaufspreise des Kaffees konstant halten konnte, sind wir nun an dem Punkt angelangt, dass wir Preise in voraussichtlich zwei Stufen erhöhen müssen. Wir möchten dies transparent gestalten und Euch dabei mitnehmen. Dieser Text soll zum einen die Situation sowie ihre globalen bis lokalen Hintergründe nachvollziehen und einordnen helfen und zum anderen die politische Haltung verdeutlichen, die für uns handlungsleitend ist und letztlich auch, neben den Sachzwängen der Ökonomie, unserer Preisgestaltung zugrunde liegt.
Die guten Nachrichten zuerst
Die Rohkaffeepreise, die von bzw. über uns an Kooperativen und kleinbäuerliche Produzent:innen gezahlt werden, konnten in den letzten Jahren vielfach erhöht oder ansonsten auf einem gleichbleibend hohem Niveau gehalten werden.
Zusätzlich haben wir den Großteil unserer Verpackungen inzwischen auf aluminumfreie Weichbeutel umgestellt. Dank einer Begasung mit Stickstoff bei der Befüllung sind sie ebenso lange haltbar wie klassische Vakuumpäckchen und stellen eine qualitative Verbesserung dar, da kein Aroma mehr durch die Vakuumisierung verlorengeht. Und es wird CO2 eingespart, was wir sinnvoll finden, weil der Klimawandel kein aufgeschobenes, sondern ein soziales und ökonomisches Problem mit heute bereits dramatischen Auswirkungen vor allem im globalen Süden ist. Unser Solidaritätsverständnis zielt darauf ab, das Ganze im Blick zu haben, daher auch an dieser Stelle verantwortungsvoll zu handeln.
Gleichzeitig haben wir Euch in den letzten Jahren stabile und weitgehend gleichbleibende Preise anbieten können. Auch dies ist uns wichtig. Solidarischer Handel verläuft für uns nicht nur in eine Richtung. Wir möchten weder, dass die Wertschöpfung am Ende vor allem in Europa liegt, noch sollen faire Produkte ein Luxusprodukt für Besserverdienende werden. Allen soll der Zugang zu Kaffee möglich sein, der zu existenzsichernden Bedingungen hergestellt wird und den Aufbau sozialer Bewegungen in den Produktionsländern unterstützt.
Aufgrund besserer Rohkaffeepreise, gestiegener Kosten beim Import, steigenden Mietkosten und sonstiger Inflationskosten im Vertrieb sowie höherer Ausgaben für die neuen Verpackungen müssen wir nun allerdings reagieren und mit unseren Verkaufspreisen nachziehen.
Im Schnitt werden die Päckchen zwischen 30 und 55 Cent teurer. Aufgrund der aktuellen Entwicklung am Kaffeeweltmarkt rechnen wir zudem damit, dass Mitte des Jahres 2022 die Preise nochmals steigen werden, weil sich Weltmarktpreis für Rohkaffee an den Börsen zuletzt beinahe verdoppelt hat. Dies wird dann nicht nur Café Libertad, sondern alle betreffen, die Kaffee importieren, rösten und vertreiben.
Spekulationen und Krisen am Weltmarkt
Der Preis pro libra (453g) war von ca. 1,25 US-Dollar zum Jahresanfang 2021 auf zeitweise über 2,50 USD gestiegen. Ursächlich hierfür sind viele Gründe. Weltweit steigt der Kaffeeverbrauch. Nicht nur in den Produktionsländern selbst, sondern auch in Ländern, in denen traditionell eher Tee verbraucht wurde (zum Beispiel Großbritannien, China oder Indien), wird inzwischen mehr Kaffee getrunken.
Parallel zur wachsenden Nachfrage nehmen auch Spekulationen an den Börsen und Wetten auf künftige Kaffeepreise an Fahrt auf. Hier werden teilweise Blasen erzeugt und Gewinne vor allem in Form von sogenanntem „Papierkaffee“ abgeschöpft.
Ebenso haben die Corona-Pandemie und der politische Umgang mit ihr die Lage weiter verschärft. Für die Kooperativen haben die Pandemiebedingungen zu Mehraufwand und Exportschwierigkeiten geführt. Sie haben beispielsweise Probleme, Container und Schiffsverbindungen zu erhalten.
Mittelfristig wird zudem die Finanzpolitik der internationalen Regulierungsbehörden weiter durchschlagen. So braucht es keine Glaskugel, um zu erkennen, dass die aktuellen Verlautbarungen der EZB, die Inflation sei nur vorübergehend, nicht den Realitäten entsprechen. An der europäischen Niedrigzinspolitik wird festgehalten, um Geld in die Finanzmärkte zu pumpen und Staatsschulden über die Inflation teilweise zu refinanzieren. Gleichzeitig wird auf Exportsteigerungen und positive Außenhandelsbilanzen abgezielt, während Importe sich bereits ohne Zölle verteuern.
Das in den Markt gepumpte Geld befördert zudem Spekulationsblasen auf den Aktienmärkten, die auch vorm Kaffee und anderen dort gehandelten Nahrungsmitteln nicht halt machen. Aufgrund der niedrigen Zinsen fließen große Geldmengen zudem in Landraub im globalen Maßstab.
Die gestiegenen Preise sind allerdings auch die Folge von Unwettern und Missernten in Lateinamerika, insbesondere in Brasilien. Seit Jahren nehmen die Probleme beim Kaffeeanbau durch den Klimawandel zu. Extremunwetter führen zu Ernteausfällen und dadurch, dass die Kaffeepflanzen steigenden Temperaturen ausgesetzt sind, wachsen sie schneller. Dies geht bei Arabica-Sorten zu Lasten der Qualität. Kaffeebäuer:innen müssen daher teils in höhere Lagen ausweichen, was wiederum die Produktionsbedingungen verschlechtert. So müssen etwa längere Wege in Kauf genommen werden und die Pflege der Plantagen wird beschwerlicher.
Ebenso begünstigen die Temperaturanstiege Erkrankungen der Kaffeepflanzen, allen voran durch die Roja, auch Kaffeerost genannt, die die Erträge weiter schmälert. Aufgrund der Ernteverluste und des erhöhten Aufwands bedeuten die steigenden Marktpreise für die Kaffeebäuer:innen auch nicht unbedingt bessere Einnahmen. Viele Kleinbäuer:innen sind durch den Wandel in ihrer Existenz bedroht.
Existenzsichernde Preise statt Papierkaffee im Goldrausch
Unter diesen Bedingungen entstehen auch für die Kooperativen, über die u.a. Café Libertad seinen Kaffee importiert, teilweise große Probleme. Während wachsende Nachfrage und Spekulationsgeschäfte zu Preisansteigen führen, fahren gleichzeitig „fliegende Händler:innen“ der großen Konzerne, sogenannte „Coyotes“, mit LKWs über das Land und kaufen unverarbeiteten Kaffee von Kleinbäuer:innen auf. Die Not befördert, dass dieses „schnelle Geld“ oft angenommen. Teilweise entsteht ein regelrechter Kaffeegoldrausch, bei dem sich „Coyotes“, Nachbar:innen und Produzent:innen gegenseitig den Kaffee abkaufen, um ihn möglichst gewinnbringend weiterzuverkaufen.
Hinzu kommt direkte Gewalt. In Chiapas wurden im vergangen Jahr Kaffeesäcke von der paramilitärischen Gruppe „Orcao“ gestohlen und Lager niedergebrannt. Diese Auseinandersetzungen dauern an und Schwankungen beim Kaffeepreis drohen lokale Konflikte durch ökonomische Zwänge zu befördern.
Für die Kooperativen folgt daraus, dass ihre Mitglieder unter Umständen keine ausreichenden Mengen mehr liefern können, was bis in die Insolvenz führen kann. Zusehends vollzieht sich so eine Zerstörung kooperativer Strukturen durch kapitalistische Marktmechanismen. Diese Entwicklung schlägt wiederum auf die Situation der Kleinbäuer:innen durch. Denn in Gegenden, in denen die Selbstorganisation und der Aufbau von Kooperativen fortgeschritten sind, bezahlen auch die „Coyotes“ meist deutlich bessere Preise. Sind die mühsam aufgebauten Strukturen erstmal zerschlagen, sinkt der Kaffeepreis für die Kleinbäuer:innen in der gesamten Region.
Die Machtverhältnisse sind in diesem postkolonialen Konkurrenzkampf zwischen globaler Konzernmacht und lokaler Selbstorganisierung in hohem Maße ungleich verteilt. Wenige große Konzerne dominieren bis heute den Weltmarkt und haben in der Schlacht um den Kaffee weit größere Finanzmittel zur Verfügung als kleine Kooperativen. Dadurch können sie Preisschwankungen besser ausgleichen oder sogar Gewinn daraus schlagen, indem sie hohe Kaffeepreise durch den Ankauf von Billigkaffee in Niedrigpreisphasen kompensieren. (Wie hoch die Preisschwankungen sein können zeigt der Vergleich: Im Juni 2020 dotierte der Kaffee noch mit weniger als 1 USD, im Dezember 2021 lag er bei 2,50 USD.) Zusätzlich kommt hinzu, dass die Hochpreisphasen am Weltmarkt bisher nur zwischen drei und sechs Monaten anhielten, während die anschließenden Niedrigpreisphasen teilweise Jahre dauerten.
Kooperativen und solidarisch handelnde Akteur:innen hingegen setzen auf keine solche „Wetten in die Zukunft“, sondern versuchen, gleichbleibend existenzsichernde Preise zu gewährleisten und hier eher einen Schritt nach vorne denn einen zurück zu machen, weil der Markt es gerade hergibt.
Vorfinanzierung und Solidarität
Auch für uns hier in Europa sind diese Bedingungen und insbesondere die aktuelle Situation eine Herausforderung. Café Libertad gewährt den Kooperativen Vorauszahlungen als zinslose Kredite, damit diese den Kaffee ihrer Mitglieder zu guten Preisen aufkaufen können. Steigt der Kaffeepreis oder Wechselkurse, erhöht sich der Finanzierungsbedarf bereits im Vorfeld. Kaffee, den wir jetzt bereits vorfinanzieren, wird voraussichtlich bis Mitte des Jahres 2022 geliefert und anschließend bis Mitte 2023 verbraucht. Aufgrund der Preisentwicklung rechnen wir in diesem Jahr mit Mehrkosten bei den Vorfinanzierungen in Höhe von 130.000 Euro. Gleichzeitig besteht das Risiko von Lieferausfällen, die möglicherweise nicht unmittelbar ersetzt werden können. Dadurch würde dann nicht nur das Geld, sondern auch der Kaffee selbst fehlen.
Grundsätzlich ist es gut und begrüssenswert, wenn der Anbau von Rohkaffee besser bezahlt wird. Denn der Kaffeeanbau ist von Bestellung der Plantagen über die Ernte bis hin zur Verarbeitung mit hohem Aufwand verbunden. Zudem können höhere Preise die Lebenssituation von Kleinbäuerinnen deutlich verbessern und die Basis sozialer Bewegungen stärken. Hierzu sind allerdings auch Kontinuität und eine langfristige Abnahme von Mengen erforderlich.
Spekulationsblasen und Kursschwankungen hingegen untergraben die Absicherung und befeuern Abhängigkeiten im Welthandel. Der Kaffeepreis sollte sich daher nicht an wechselnden Marktlagen, sondern mindestens daran orientieren, was für existenzsichernde Einkommen benötigt wird. Als Café Libertad versuchen wir, solche Standards gemeinsam in einem Prozess mit Produzent:innen zu entwickeln.
Für den fairen und solidarischen Handel wird das kommende Jahr ein schwieriges werden. Wir wollen alle Entwicklungen transparent begleiten und hoffen trotz überall steigender Kosten auf Eure Solidarität. Wir machen Preiserhöhungen nicht leichtfertig, aber werden aber dort weiter nachziehen, wo die Notwendigkeit besteht, die Arbeit der Kooperativen und Kleinbäuer:innen abzusichern.
Es ist keine neue Erzählung im Kapitalismus. Reiche werden reicher, während das Leben vor allem für ärmere Bevölkerungsteile teurer wird, die Wertschöpfung maßgeblich auf ihre Kosten geht. Armut ist aber kein Schicksal, sondern ursächlich Ausdruck kapitalistischer Verwertungslogik. Teils wird sie von den Akteur:innen bewusstlos reproduziert, insbesondere an den Schnittstellen der Macht ist sie aber auch politisch und ökonomisch gewollt, in jedem Fall menschengemacht. Und genau deshalb kann sie auch überwunden werden, wenn wir uns organisieren und unser Leben in die eigenen Hände nehmen.
Café Libertad versteht sich als ein Zahnrad im Gefüge solcher Bewegungen. Indem wir solidarische Handelsbeziehungen anstreben und mit Fördergeldern die soziale Basis von indigenen Widerständen und anderen emanzipatorischen Kämpfen unterstützen, sind wir freudig Teil eines globalen Handelns gegen Ausbeutung und Unterdrückung.
Möglich macht dies aber vor allem eins: Ihr alle.